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Sampling vor dem Verfassungsgericht: Eine kommentierte Presseschau

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe verhandelte gestern zur Frage, ob auch für die Übernahme kleinster Teile eines Musikstücks – im konkreten Fall geht es um ein zweisekündiges Sample von Kraftwerks „Metall auf Metall“ – die Klärung von Rechten erfordert. Zuvor hatte der Bundesgerichtshof (BGH) bereits zwei Mal, 2008 und 2012, zu Gunsten der Rechteinhaber am Song „Metall auf Metall“ entschieden. Konkret ging es nicht um Urheberrecht im engeren Sinn, sondern um das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers. Der BGH war in seinem Urteil der Meinung, dass Sampling nicht erlaubt sein soll, wenn es einem „durchschnittlich ausgestatteten und befähigten Musikproduzenten“ möglich wäre, die besagte Tonfolge selbst einzuspielen. Mit anderen Worten, Musikproduzenten sollen sich nicht durch Sampling auf Kosten anderer etwas ersparen.

Kraftwerk live in Stockholm (Bild: Andréas Hagström, CC-BY-SA)

Kraftwerk live in Stockholm (Bild: Andréas Hagström, CC-BY-SA)

Diese Entscheidung greift jedoch gleich doppelt zu kurz: Erstens ist Sampling heute längst nicht nur mehr etwas, das professionelle Musikproduzenten tun. Diese jedoch weiterhin als Maßstab heranzuziehen verhindert jede Form von nicht-kommerziellem Sampling und behindert so digitale Remix- und Mashupkultur. Zweitens geht es beim Sampling in der Regel nicht nur um die bloße Tonfolge, sondern ist Sampling auch eine kulturelle Referenz, ein Verweis, eine Auseinandersetzung mit anderen Werken. Ein Sample ist eben mehr als eine Tonfolge, sondern kann vielmehr ein Tonzitat sein, wo es gerade um die Erkenn- und Zuordenbarkeit zum zitierten Werk geht.

Im aktuellen Verfahren vor dem BVG geht es jetzt um die Frage, ob durch diese Entscheidungen des BGH das Grundrecht auf Kunstfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt worden ist. Mit anderen Worten, es gilt zu klären, ob es nicht zumindest in sehr engen Grenzen soetwas wie ein grundrechtlich geschütztes „Recht auf Remix“ gibt.

Für den Verein Digitale Gesellschaft e. V., der sich unter rechtaufremix.org seit langem für ein solches Recht einsetzt (Offenlegung: ich bin Mitglied des Vereins und für die Initiative mitverantwortlich), war Volker Tripp in Karlsruhe vor Ort (vgl. die vorab einegereichte schriftliche Stellungnahme). Seine Erfahrungen hat er am Blog des Digitale Gesellschaft e. V. veröffentlicht und berichtet dabei unter anderem von einer überraschend eindeutigen Positionierung des Vertreters der Bundesregierung:

Der sprach sich ausdrücklich dafür aus, das Recht des Tonträgerherstellers auch jenseits der „freien Benutzung“ deutlich zu beschränken. Nach Auffassung der Bundesregierung ziele dieses Recht nur darauf ab, die Investitionen des Herstellers in eine Tonaufnahme zu schützen; solange ihm kein wirtschaftlicher Schaden drohe, solle der Hersteller deshalb auch keine Möglichkeit haben, die Verwendung einer Aufnahme zu verhindern; alles andere würde die kulturelle Fortentwicklung gerade im digitalen Bereich empfindlich beeinträchtigen.

Bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung diese Position auch in der Debatte zur anstehenden EU-Urheberrechtsreform einbringt und mit Nachdruck vertritt.

Eine kurze, dafür aber besonders pointierte Stellungnahme lieferte HipHop-Journalist Falk-Schacht im Gespräch mit ZDF HeutePlus:

„Dieses Gerichtsurteil bezieht sich einfach nur auf Profis, das heißt auf Musikproduzenten und Plattenfirmen und Verlage. Aber der normale Bürger ist inzwischen auf Grund der digitalen Revolution in der Lage, auch Kunst zu produzieren, das ist sehr einfach, mit einem Klick. Die Einschränkung der Kunstfreiheit betrifft jetzt also den ganz normalen Bürger, der jetzt diese Werkzeuge hat und sie benutzen kann, aber nicht darf, weil er damit Rechte verletzt.“

Einen längeren Bericht aus Karlsruhe veröffentlichte auch Dietmar Hipp bei Spiegel Online, sympathisierte aber deutlich erkennbar eher mit sampling-kritischen Positionen. Hipp vermutet, dass das Argument der Kunstfreiheit im konkreten Fall nur vorgeschoben sei, da „Pelhams Anwälte anfangs sogar angezweifelt [hätten], dass die Sequenz überhaupt dem Kraftwerk-Titel entnommen sei“, weshalb es gerade nicht um eine Hommage gegangen sei. Dementsprechend überlässt er in seinem Artikel Kraftwerk-Mitglied Hütter das letzte Wort:

Als Verfassungsrichter Andreas Paulus ganz grundsätzlich fragte, ob die Forderung von Lizenzgebühren für Sampling nicht „die Beatles des 21. Jahrhunderts im Keim ersticken“ würde, bat Kraftwerk-Mitglied Hütter noch einmal ums Wort: „Die Beatles-Generation zeichnet sich dadurch aus, dass sie ihre eigene Musik geschrieben hat.

Und tatsächlich wird an diesem Austausch deutlich, dass in manchen Kreisen Remixkultur und -kreativität immer noch als minderwertig oder weniger schützenswert betrachtet werden. Dass heute Kreativität und Originalität bisweilen gerade im Bereich von Remix- und Mashupkunst zur Blüte gelangen, belegt hingegen das digitale Remix-Museum.

Auch das Kulturmagazin Figaro des MDR widmete der Verhandlung einen Beitrag, für den ich selbst interviewt wurde (zum Nachhören via Flashplayer), und der am Ende darauf verweist, dass selbst mit der Entscheidung des BVerfG noch nicht das letzte Wort in der Cause gesprochen sein könnte:

Der Vorsitzende des Ersten Senats, Ferdinand Kirchhof, sagte zu Beginn der Verhandlung, das Bundesverfassungsgericht befasse sich zum ersten Mal in seiner Geschichte in einer mündlichen Verhandlung mit verfassungsrechtlichen Fragen des Urheberrechts. Zudem wies er darauf hin, der Rechtsstreit habe noch eine europäische Komponente, die der BGH bei seinen Entscheidungen nicht berücksichtigt habe. Seit 2002 regelt eine EU-Richtlinie urheberrechtliche Fragen auch in der Musik. Dabei sei aber die bearbeitende Verwertung fremder Tonquellen nicht erwähnt. „Wir werden daher klären müssen, wer zur Entscheidung über diese Schlussfolgerung berufen ist.“ Möglicherweise müsse der Fall dem Europäischen Gerichtshof ( EuGH ) vorgelegt werden.

Im Feuilleton der Welt meint Michael Pilz schließlich, dass es aber vielleicht gar nicht so wichtig ist, was am Ende bei dem Marathonverfahren herauskommt, denn „[w]ie immer das Urteil ausfällt, es wird falsch sein“. Er findet, beide Seiten hätten Recht:

Für Kraftwerk spricht nicht nur ein altes Urheber- und Nutzungsrecht, das sich im digitalen Zeitalter aber gerade auflöst, weil Gesetze nur so lange gelten, wie sie durchzusetzen sind. Die weltberühmten Düsseldorfer haben, nach gesundem Menschenverstand, auch die Ökonomie auf ihrer Seite. Musiker verkaufen immer weniger, dafür vergeben sie Lizenzrechte, die ungeschützt nichts wert wären. Für Sabrina Setlur und ihren Betreuer spricht, so unerhört sich das auch lesen mag bei einem Schlager wie „Nur mir“, das hohe Gut der Kreativität. Das BGH hat mit dem Urteil vor drei Jahren die Musikkultur des freien Samplings und Zitierens so weit eingeschränkt, dass, streng genommen, nichts mehr möglich wäre, was nach Kraftwerk kam. Kein Hip-Hop und kein House.

Wenn es aber tatsächlich so sein sollte, dass vor allem das ökonomische Argument für Kraftwerk spricht, dann gäbe es eben durchaus einen Ausweg – zwar vielleicht nicht für das Bundesverfassungsgericht, aber für den Gesetzgeber. Dieser müsste die Voraussetzungen für ein Recht auf Remix schaffen, das bei nicht-kommerzieller Nutzung pauschal (z.B. durch Plattformbetreiber) und bei kommerzieller Nutzung standardisiert (wie bei Cover-Versionen) vergütet wird.

Der Beitrag ist ein Crosspost von netzpolitik.org.



Leonhard Dobusch in netzpolitik.org
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